Gastkommentar anlässlich des Klima-Aktionsgipfels der Vereinten Nationen am 23. September 2019 in New York.

Der Autor ist Referent zum Thema „Meeresschutz als Klimaschutzmaßnahme“ bei einem hochrangigen Side-Event der belgischen Regierung beim UNO-Gipfel (siehe Information am Ende des Artikels).

Kommenden Montag, am 23. September 2019, finden sich hunderte Regierungsvertreter, Diplomaten, Vertreter internationaler Abkommen und Organisationen, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft in New York ein. Anlass ist der von UNO-Generalsekretär António Guterres einberufene Climate Action Summit. Zwei Tage danach folgt die mit Spannung erwartete Veröffentlichung des Berichts des Weltklimarates (IPCC) über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane.

Im marinen Bereich legen die Regierungen ihren Fokus sehr stark und durchaus nachvollziehbar auf die Erforschung und Entwicklung erneuerbarer Energiequellen. Meeresschützer sehen jedoch noch eine weitere unabdingbare Maßnahme für den Klimaschutz: leisere Weltmeere. Das mag zunächst unverständlich klingen, ist aber naheliegend und vor allem einfach zu erreichen. Der Beitrag zur Emissionssenkung wäre signifikant. Aber der Reihe nach.

Für Meerestiere ist die Wahrnehmung von Schall lebenswichtig. Sie dient der Orientierung, Kommunikation, Nahrungssuche, Feindvermeidung, Partnerwerbung und vielem mehr. Wenn Schall jedoch in hoher Intensität auftritt, wird daraus Lärm mit all seinen negativen Konsequenzen. Diese reichen von Stress und Vertreibung aus Lebensräumen über DNA-Schäden, körperliche Fehlentwicklungen und vielerlei physische Verletzungen bis zum Tod.

Eine Lärmquelle, die seit den 1950er Jahren in einigen Meeresregionen in jedem Jahrzehnt für einen Verdoppelung des permanenten Schallteppichs sorgte, ist die internationale Frachtschifffahrt, die auch keine unerhebliche Rolle beim Ausstoß von Treibhausgasen spielt. Dass dieser Sektor von den Zielen des Pariser Klima-Abkommens ausgenommen worden war, sorgte für massive Kritik. Später verständigten sich die Staaten in der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) aber darauf, bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen aus der Frachtschifffahrt um 50% gegenüber dem Referenzjahr 2008 zu reduzieren. Wie kann eine solche Einsparung nun erfolgen? Zu den diskutierten Lösungsansätzen zählen der Umstieg auf anderen Treibstoff oder technische Lösungen etwa beim Schiffsbau und der Energieeffizienz. Bedenkt man, dass Frachtschiffe eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren haben, relativiert sich der Ausblick auf rasche und kräftige Einsparungen mit solchen Maßnahmen aber sehr schnell

Weniger Beachtung findet hingegen eine Managementmaßnahme, die simpel ist, aber einen sofortigen und in zweifacher Hinsicht positiven Nutzen hätte: die Reduktion der Fahrtgeschwindigkeit. In einer aktuellen Publikation (Leaper, 2019) wird errechnet, dass eine Reduktion der Geschwindigkeit der globalen Frachtschifffahrtsflotte um durchschnittlich 10% zu einem Emissionsrückgang von mindestens 13% führen würde. Einberechnet ist dabei bereits eine Zunahme der Anzahl an Schiffen zur Aufrechterhaltung des Gütertransportvolumens. Zusätzlich würde die Maßnahme jedoch auch den Lärmeintrag in die Meere um 40% verringern und dadurch marine Arten und Ökosysteme signifikant entlasten.

Unvorstellbar laut: Suche nach Erdöl im Meer

Eine andere Aktivität ist verantwortlich für die lautesten vom Menschen erzeugten Schallpulse überhaupt: Seismik. Bei der Suche nach Öl- und Gasvorkommen im Meeresboden werden von einem Explorationsschiff bis zu 48 Schallkanonen gezogen, die alle 10 bis 15 Sekunden Schallpulse mit bis zu 260 Dezibel ins Meer aussenden. Und das über Wochen oder gar Monate hinweg. Lange wurden in der Öffentlichkeit höchstens die Auswirkungen solcher Lärmquellen auf akustisch sensible Wale diskutiert, doch 2017 versetzte eine Studie australischer Wissenschaftler zumindest Personen, die im Meeresschutz arbeiten, in Schrecken. Eine einzige Schallkanone hatte im gesamten Untersuchungsgebiet in einer Distanz von 1,2 Kilometern sämtliche Krill-Larven und auch einen großen Teil des adulten Zooplanktons getötet. Damit wird dem gesamten marinen Nahrungsnetz die Basis entzogen.

Negative Auswirkungen, darunter auch der dokumentierte Rückgang von Fischfangraten, durch seismische Aktivitäten lassen sich mit einem simplen Rezept vermeiden: Man führt sie nicht durch. Dieser Gedanke mag bei vielen die Reaktion auslösen: Na ja, so schnell wird es nicht gehen. Okay. Aber wie schnell soll und kann es gehen? Sieht denn nicht das Pariser Abkommen einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe vor? Eine Phase-Out-Strategie dafür gibt es jedoch bis heute nicht, weder international noch regional. Ein Blick ins Mittelmeer gibt vielmehr Anlass zur Sorge, denn in den vergangenen Jahren ist die Anzahl der seismischen Explorationen stark angestiegen. Waren im Jahr 2005 noch 3,8% der Meeresoberfläche betroffen, stieg der Anteil bis zum Jahr 2013 auf 27%. Aktuell haben Griechenland, Italien, Zypern, die Türkei, Montenegro und zahlreiche andere Mittelmeeranrainer Lizenzen für die Beschallung des Meeres zur Suche nach Erdölvorkommen vergeben. Ein klarer Widerspruch zum Pariser Abkommen. Während Regierungen in New York über Klimaschutz sprechen, werden gleichzeitig Schallkanonen abgefeuert, um nach dem Schwarzen Gold zu suchen.

Der Zusammenhang ist also simpel. Reduzieren wir Unterwasserlärm bei zwei der Hauptverursacher, vermindern wir signifikant sowohl klimawirksame Emissionen, als auch negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt der Meere. Eigentlich eine Win-Win-Situation. Worauf warten wir noch?

 

 

Eine leicht adaptierte Fassung des Artikels ist bei auf derstandard.at erschienen: https://www.derstandard.at/story/2000108887136/auch-leisere-meere-sind-ein-beitrag-zum-klimaschutz

 

Nicolas Entrup, 47

Ocean Policy Expert bei OceanCare

Nicolas Entrup arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Bereich des internationalen Meeresschutzes. Er leitet das Programm der internationalen Meeresschutzorganisation OceanCare zur Reduktion des Unterwasserlärms. Auf Einladung der belgischen Regierung referiert Nicolas Entrup am „High Level Side Event on Climate and Oceans“ am 23.9.2019 im Rahmen des Weltklima-Aktionsgipfels in New York über „Meeresschutz als treibende Kraft für Klimaschutz“. Weitere Referenten sind Philippe de Backer, Belgiens Minister für die Nordsee, Karmenu Vella, EU-Kommissar für maritime Angelegenheiten, David Paul, Umweltminister der Marshall Islands, und Kitack Lim, Generalsekretär der International Maritime Organisation (IMO).

 

Literatur:

ACCOBAMS: “Overview of the Noise Hotspots in the ACCOBAMS Area, Part I – Mediterranean Sea”: https://www.accobams.org/new_accobams/wp-content/uploads/2017/05/MOP6.Doc28.pdf

Publikation zur Reduktion von Treibhausgas- und Lärmemissionen durch die Schifffahrt:

Russell Leaper (2019): https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2019.00505/full

Auswirkungen von Unterwasserlärm auf Fische und Wirbellose:

Lindy Weilgart (2017): https://www.oceancare.org/wp-content/uploads/2017/10/OceanNoise_FishInvertebrates_May2018.pdf

Brüsseler Deklaration „The Ocean and Climate Change“: https://climateoceans.eu/documents