Am 17.12.2020 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil in einer Causa, in der es um die Abwägung verschiedener widerstreitender Rechte ging. Der EuGH entschied zugunsten des Tierschutzrechts und führte in der Urteilsbegründung aus, dass der „Tierschutz als Wert, dem die heutigen demokratischen Gesellschaften seit einigen Jahren größere Bedeutung beimessen, … stärker berücksichtigt werden“ kann.

Güterabwägungen zwischen dem Tierschutz und anderen Werten müssen immer wieder getroffen werden. Der österreichische Verfassungsgerichtshof konstatierte bereits 2011 in einer solchen Causa den „Eintritt eines Wertewandels“ (shifting values!) und ein „nach heutiger Auffassung weithin anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse am Tierschutz“.

Damit ist von den höchsten Gerichten festgestellt, dass der Tierschutz heute stärker zu berücksichtigen ist als noch vor einigen Jahren.

Was kann das in der Praxis bedeuten? Betrachten wir diese Frage zum Beispiel anhand der Qualzucht bei Hunden.

Am 1. Jänner 2005 trat das Bundes-Tierschutzgesetz (TSchG) in Kraft. Nach dessen § 5 verstößt gegen das Verbot der Tierquälerei, wer „Züchtungen vornimmt, die für das Tier oder dessen Nachkommen mit starken Schmerzen, Leiden, Schäden oder mit schwerer Angst verbunden sind (Qualzüchtungen), oder Tiere mit Qualzuchtmerkmalen importiert, erwirbt oder weitergibt“.

Solche Qualzuchtmerkmale bedeuten für die betroffenen Tiere ein Leben voller Leid infolge von Atemnot und Erstickungsangst (Mops, Französische Bulldogge u.v.a.), Missverhältnis zwischen Körpermasse und Bewegungsapparat infolge von Zwergwuchs (Chihuahua, Pekinese etc.) oder Riesenwuchs (Dogge u.a.), Skelett- und Wirbelsäulendeformationen (Französische Bulldogge, Dackel u.v.a.), Gelenk-Fehlstellungen (Deutscher Schäferhund u.a.), Nervenschmerzen, chronisch entzündeter Haut etc. etc.

Durch eine Übergangsbestimmung (§ 44 Abs. 17 TSchG) durften Tierrassen, bei denen Qualzuchtmerkmale auftreten, dennoch weiterhin gezüchtet werden, wenn „durch züchterische Maßnahmen oder Maßnahmenprogramme die Einhaltung der Bestimmungen bis zum 1. Jänner 2018 gewährleistet werden kann“.

Wie das so ist, verstrichen die Jahre weitgehend ungenutzt, die Qualzucht wurde munter fortgesetzt, die Gesetzesbestimmung weitgehend ignoriert. Es nahte der 1. Jänner 2018. Was machte die Politik? Sie strich einfach das Datum aus der „Übergangsbestimmung“, die damit ad infinitum verlängert wurde. Begründet wurde dies tatsächlich damit, dass sonst manche Rassen „aussterben“ würden. Es gibt wohl kaum ein plakativeres Beispiel für Unfähigkeit und Ignoranz gegenüber Tierschutzinteressen.

Wir haben hier also einen Zielkonflikt, der einfach zu entscheiden sein sollte. Auf der einen Seite steht der Schutz der Tiere vor Tierquälerei, der als Staatszielbestimmung in der Verfassung steht, ein bedeutsames öffentliches Interesse ist und einen bedeutenden Wert demokratischer Gesellschaften darstellt. Auf der anderen Seite stehen „Rassestandards“ privater Züchtervereine, die sich über Jahrzehnte darin gefallen haben, Kreaturen zu erschaffen, die von natürlichen Proportionen, von Gesundheit und einem lebenswerten Hundeleben weit entfernt sind.

Im Lichte der oben angeführten höchstgerichtlichen Aussagen sollte dieser Zielkonflikt sehr einfach und ganz klar im Sinne des Tierschutzes zu entscheiden sein. Doch bei den Vollzugsbehörden herrscht unvermindert Feigheit und in der Politik Ratlosigkeit vor. Das Rad der Untätigkeit dreht sich somit weiter. Ein Preis an jene EntscheidungsträgerInnen, denen hier ein Ausbruch aus der Lethargie gelingt!