Wien, Mariahilferstraße, ein Freitag Ende September 2019. Ein Mädchen, vielleicht 12 Jahre alt, steht an einer erhöhten Stelle, aufrecht und voller Energie. Sie ruft durch ein Megaphon: „Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wann wollen wir sie? Jetzt!“ Fasziniert schaue ich ihr eine Weile zu. Erstmals seit vielen Jahren nehme ich wieder an einer Kundgebung teil, an einer Demonstration mit abertausenden jungen Menschen, die positiv und kreativ, ernst und bestimmt festhalten: So können wir mit dem Planeten, auf dem wir leben dürfen, nicht länger umgehen!
Begeisterung keimt in mir auf. Dabei hatte ich die Hoffnung, die Jugend würde sich gegen die Zerstörung der Erde auflehnen, bereits völlig aufgegeben. Und jetzt diese Bewegung! Herzlichen Dank, Greta! Danke, dass Du es auf Dich genommen hast, der Funke zu sein, der das schlummernde Potential in so vielen Menschen wachgerüttelt hat.
Aber wie kann ich es wagen, meine Hoffnungen und Erwartungen auf die Jugendlichen zu projizieren? Hat nicht meine Generation mehr Treibhausgase ausgestoßen als je eine Generation zuvor? Wussten wir noch zu wenig, um anders zu handeln? Wieder zuhause angekommen, krame ich in meinen alten Fotos. Und tatsächlich finde ich, was ich suchte: ein Foto von mir als 15-Jährigem in einem Sweater von Greenpeace mit der Aufschrift „Rettet das Klima“. Das Foto ist vom März 1989! Ja, wir wissen seit mehr als 30 Jahren Bescheid, haben aber dabei versagt, umzusteuern, solange dies noch ohne gröbere Verwerfungen möglich gewesen wäre.
Und heute? Ist heute Hoffnung angebracht? „System change, not climate change“ halte ich hier für die wichtigste Botschaft. Wie das (Wirtschafts-, Gesellschafts-, Werte- und Denk-)System auf die Klimabewegung reagiert, wenn es sich nicht ändert, können wir bereits beobachten: Eine Welle des Greenwashing schwappt über uns herein (selbst Ölheizungen und Fleischkonsum werden uns als klimafreundlich präsentiert) und absurde Geoengineering-Pläne werden gewälzt. Und – besonders perfide – das Argument des Klimaschutzes wird missbraucht, um der Natur und der Biodiversität noch weiter zu schaden.
Beispiel Energie: Die naheliegendste Lösung, nämlich weniger Energie zu verbrauchen, passt nicht in unser System, das (auf einem endlichen Planeten!) auf immerwährendes Verbrauchswachstum ausgerichtet ist. Also werden die letzten frei fließenden Flüsse durch (Klein-)Wasserkraftwerke zerstört, Millionen Fledermäuse durch Windkraftanlagen getötet und Lebensräume durch lebensfeindliche „Biomasse“-Monokulturen ersetzt.
Besteht Hoffnung auf einen Systemwandel? Ja, warum eigentlich nicht? Dafür bedarf es jedoch der fundamentalen Änderung zweier wesentlicher Faktoren: Zum einen muss wissenschaftlichen Erkenntnissen mehr Bedeutung bei der Entscheidungsfindung beigemessen werden, zum anderen brauchen wir ein System, das nicht auf stetig wachsendem Konsum und BIP aufbaut. Entscheidend wird sein, dass sich eine kritische Menge der Bevölkerung darüber klar wird, dass sich Lebensqualität, Freude und Glück nicht durch „mehr Konsum“ definieren, und dass Wege in der Wirtschaftspolitik zu gehen sein werden, die weit mehr als monetäre Faktoren berücksichtigen.
Clemens Purtscher
Ökologe und freier Mitarbeiter von Shifting Values seit der Gründung 2011
P.S.: Hier können Sie (österreichische Staatsbürger ab 16 Jahren) das aktuelle Klimavolksbegehren in Österreich unterstützen: https://klimavolksbegehren.at/unterschreiben/
Auch auf EU-Ebene können aktuell mehrere Europäische Bürgerinitiativen für den Klimaschutz unterzeichnet werden: https://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/open?lg=de