Tötung von Ostsee-Schweinswalen befeuert Diskussion über die internationale Regulierung militärischer Aktivitäten im Einklang mit Natur- und Artenschutz

Zürich, 25. November 2019: Die Tötung von mindestens 18 Schweinswalen in einem Walschutzgebiet in der Ostsee durch Minensprengungen der deutschen Bundeswehr sollte eine grundlegende Diskussion über die Regulierung militärischer Aktivitäten in Bezug auf Natur- und Artenschutzbestimmungen weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus auslösen.

Militärische Aktivitäten gehören neben der Ölindustrie und der Schifffahrt zu den größten Lärmverursachern in den Weltmeeren. Neben Detonationen und Sprengungen gehören vor allem aktive Sonarsysteme im Nieder- und Mittelfrequenzbereich für das Aufspüren von U-Booten zu den intensivsten, lautesten und für Meeresstiere gefährlichsten Lärmquellen. Seit etwa zwei Jahrzehnten nimmt die Sorge über die Auswirkungen dieser Aktivitäten zu, nachdem atypische Walstrandungen auf den Einsatz solcher Systeme zurückgeführt werden konnten und in vielen Regionen, wie im östlichen Mittelmeer, regelrecht ein Unterwasser-Krieg stattfindet. Den Meeresschutzorganisationen sind jedoch oft die Hände gebunden. Juristisch.Lärmbedingte Walstrandungen im Mittelmeer ©OceanCare

Viele internationale Regelwerke sehen Ausnahmeregelungen für Aktivitäten im Sinne der nationalen Sicherheit vor oder nehmen diese gänzlich von der Anwendung von Umweltschutzbestimmungen und -gesetzen aus. So auch die EU-Meeresrahmenrichtlinie (MSFD), die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, den Lärmeintrag im Meer zu senken und für einen guten Umweltzustand zu sorgen, aber gleichzeitig in Artikel 2.2 vorsieht, dass diese Richtlinie „nicht für Tätigkeiten, die allein der Verteidigung oder der nationalen Sicherheit dienen“, gilt. Allerdings heißt es im gleichen Artikel weiter, dass die Mitgliedstaaten bestrebt sind sicherzustellen, „dass diese Tätigkeiten so durchgeführt werden, dass sie – soweit angemessen und machbar – mit den Zielen dieser Richtlinie vereinbar sind.“

„Angemessen“ und „machbar“, zwei Termini, die durchaus unterschiedlich interpretiert werden, je nachdem, ob man Meeresschutzorganisationen oder Marine-Vertreter fragt. Auch internationale Beschlüsse, z.B. im Rahmen der Bonner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten, die auch von der deutschen Bundesregierung und den anderen EU-Mitgliedsstaaten mitgetragen wurden, fordern Regierungen auf, vor militärischen Aktivitäten Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen und die Zivilgesellschaft zu konsultieren. Mitgliedsstaaten der Bonner Konvention und des Walschutzabkommens im Mittelmeer und Schwarzen Meer (ACCOBAMS) haben auch Beschlüsse verabschiedet, die explizit fordern, für bedrohte Walarten wichtige Lebensräume zu meiden.

„Die Beschlüsse und somit auch die Verpflichtung für den umfassenden Schutz von Walen und Delphinen auch vor militärischen Aktivitäten sind da und auch seitens der Deutschen Bundesregierung mitgetragen. Man darf jedoch vermuten, dass sich die Ziele des Verteidigungsministeriums nicht mit jenen des Umweltministeriums decken. Auch das ist ein internationales Problem“, sagt Nicolas Entrup, Leiter des OceanCare-Programms zur Reduktion des Unterwasserlärms.

Ungewohnt ist, dass Meeresschützer oftmals auf die in diesem Bereich strengere Gesetzgebung in den USA verweisen. Die größte und stärkste Streitmacht der Welt musste sich bereits mehrmals den Interessen des Meeresschutzes beugen. Zahlreiche von NGOs, insbesondere dem Natural Resources Defence Council (NRDC), angestrebte Verfahren endeten in Vergleichen, in denen die Regierung und somit die US-Marine Zugeständnisse machen musste, z.B. in wichtigen Lebensräumen von Walen, Delphinen und Robben auf den Einsatz von Mittelfrequenzsonar sowie auf Übungen mit explosiven Stoffen zu verzichten. „Ausser im Ernstfall gibt es kaum ein Argument dafür, militärische Aktivitäten über die Ziele des Natur- und Artenschutzes zu stellen“, folgert Entrup von OceanCare.

Im Rahmen der 7. Vertragsstaatenkonferenz des Abkommens zum Schutz von Waltieren im Mittelmeer und im Schwarzen Meer wurde auch ein Beschluss gefasst, eine engere Kooperation zwischen Militärs, Meeresschützern und Wissenschaftlern in der Region einzugehen, um die negativen Folgen militärischer Aktivitäten auf Meeressäuger zu begrenzen.

Medienkontakt
Nicolas Entrup, Co-Leiter Internationale Zusammenarbeit bei OceanCare,
M. +43 660 211 9963, nentrup@oceancare.org

Hintergrundinformationen

Diese sieht die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen vor der Genehmigung militärischer Aktivitäten vor. Darüber hinaus heißt es in Par.16.:

“Stresses the need of Parties to consult with any stakeholder conducting activities known to produce anthropogenic marine noise with the potential to cause adverse effects on CMS listed marine species and their prey, such as the oil and gas industry, shoreline developers, offshore extractors, marine renewable energy companies, other industrial activities and oceanographic and geophysical researchers recommending, how best practice of avoidance, diminution or mitigation of risk should be implemented. This also applies to military authorities to the extent that this is possible without endangering national security interests. In any case of doubt the precautionary approach should be applied” 

Über OceanCare
OceanCare ist Initiantin der Kampagne „Silent Oceans“ und setzt sich seit 1989 weltweit für die Meeressäuger und Ozeane ein. Mit Forschungs- und Schutzprojekten, Umweltbildungskampagnen sowie intensivem Einsatz in internationalen Gremien unternimmt die Organisation konkrete Schritte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Weltmeeren. Seit Juli 2011 ist OceanCare von den Vereinten Nationen als Sonderberaterin für den Meeresschutz anerkannt, sowie seit einigen Jahren offizielle Partnerin von ACCOBAMS. www.oceancare.org, www.silentoceans.org