Von einem Gast kann man wohl Manieren und ein respektvolles, höfliches Verhalten gegenüber dem Gastgeber erwarten, der einen willkommen heißt. Aber stellen Sie sich einen Gast vor, der Ihr Zuhause in eine Müllhalde verwandelt, alles mit Netzen abräumt, mit LKWs durch Ihr Wohnzimmer fährt und wochenlang alle 10 Sekunden Knallkörper mit mehr als 200 dB abfeuert. Das wird vermutlich nicht Ihr Lieblingsszenario für die Lebensbedingungen in Ihrem „Zuhause“ sein.

Warum legen wir dann in den Regionen, die ein Zuhause für Wale sind, nicht ein anderes und respektvolleres Verhalten an den Tag? OK, um zu einer Sprache zu wechseln, die Sie in Bezug auf Meere und ihre Lebewesen vielleicht „angemessener“ finden, nennen wir dieses „Zuhause“ „wichtiges Meeressäuger-Habitat“. Wie wir uns verhalten, oder besser gesagt eine Art Leitfaden für ein besseres Verhalten als in den vergangenen Jahrzehnten, ist eine Art Ausgangspunkt für Diskussionen über das Konzept von Meeresschutzgebieten. Dabei handelt es sich um ein Instrument, das Arten, die wir Menschen auf bestimmte Listen gesetzt haben, einen Platz geben soll, an dem sie geschätzt und geschützt werden. Einige dieser Arten sind Wale, sowohl Bartenwale als auch Zahnwale, wobei zu Letzteren auch die Delfine und die großen Pottwale zählen.

Ich hatte kürzlich die Ehre, OceanCare bei der 5th International Conference on Marine Mammal Protected Areas (ICMMPA 5) zu vertreten, die vom ICMMPA Committee und WWF Griechenland veranstaltet wurde und von 8. bis 12. April in Messenien am Ionischen Meer stattfand. Der Ort war gut gewählt, denn beim Blick aufs Meer sieht man die Oberfläche der tiefsten Region des Mittelmeers: des Hellenischen Grabens.

Der Hellenische Graben erreicht Meerestiefen von bis zu 5000 Metern und ist das Zuhause zahlreicher Tierarten, nicht zuletzt der tieftauchenden Pottwale und Cuvier-Schnabelwale. Beide Arten halten Lärm schlecht aus und kommen nur in geringer Individuenzahl vor. Die lokale Pottwalpopulation besteht aus nur noch etwa 200 Tieren. Die beiden Hauptbedrohungen für ihr Wohlbefinden und ihr Überleben sind: die Auswirkungen von Unterwasserlärm sowie Kollisionen mit Schiffen.

Diese Themen waren auch der Hauptfokus für OceanCares Konferenzteilnahme. Konkret ging es um:

  1. Pläne für die Suche nach Öl- und Gasvorkommen im Hellenischen Graben. Es liegen mehrere Konzessionsanträge der Öl- und Gasindustrie vor, mögliche Kohlenwasserstoff-Lagerstätten in diesen Tiefseegebieten aufzuspüren und auszubeuten.
  2. Kollisionen, vor allem mit großen Containerschiffen. Um dieser größten Gefahr für die bedrohten Pottwale zu begegnen, müssen vor allem Geschwindigkeitsbegrenzungen, Ausschlussgebiete und Wal-Lokalisierungssysteme eingerichtet werden.
  3. Intensiven Unterwasserlärm, der die geschützten Schnabelwale bedroht. Militärische Aktivitäten und seismische Untersuchungen durch die Öl- und Gasindustrie stellen für diese streng geschützte Tierart eine massive Bedrohung dar, die sich noch zu verschlimmern droht (s. Punkt 1). Informationen über Strandungen von Schnabelwalen in verschiedenen Regionen, u.a. im Ionischen Meer, auf den Kanaren und an der Küste Argentiniens, wurden ausgetauscht. Die Natur dieser tieftauchenden Tiere stellt eine enorme Herausforderung für ihren Schutz dar, u.a. weil ihr Zuhause die Tiefenzonen der offenen See einschließt.

Um zum regionalen Kontext zurückzukommen: Es ist eindeutig nötig und die Entscheidungsträger wurden mehrfach dazu aufgerufen, den Hellenischen Graben als Meeresschutzgebiet auszuweisen. OceanCare unterstützt lokale Initiativen, Naturschützer und Forscher und nutzt regionale politische Mittel mit dem Ziel einer Unterschutzstellung des Hellenischen Grabens – des Zuhauses von Pottwalen, Cuvier-Schnabelwalen und vielen weiteren Meerestierarten.

Es war großartig, mit den vielen Experten bei der Konferenz zusammenzuarbeiten. Mit manchen kooperieren wir bereits seit Jahren, mit anderen, neuen engagierten Teilnehmern intensivieren wir nun den Austausch. In diesem Sinne freuen wir uns bereits darauf, bald die Ergebnisse der ICMMPA 5 zur Veröffentlichung vorliegen zu haben.

Natürlich wurden auch viele weitere Themen behandelt, darunter das traurige Schicksal des Vaquita, Forschungsaktivitäten über Wale und Delfine auf der ganzen Welt, sowie positive Nachrichten über eine leichte Erholung der am stärksten gefährdeten marinen Säugetierart des Mittelmeers: der Mönchsrobbe.

 

Nicolas Entrup