Seit Jahren gibt es in Österreich eine intensive, jedoch oft irreführende Debatte über die Kennzeichnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft. Wir versuchen Aufklärung zu schaffen und appellieren an die Bundesregierung, bei der Kennzeichnung jenen Hebel einzusetzen, der für Tiere, Landwirt*innen und Konsument*innen die größte Verbesserung bringt. Also: Haltung zeigen!
Am 18. Juni 2020 lebten die Diskussionen rund um eine Entschließung des Nationalrats auf, obwohl darin nur bekräftigt wurde, was ohnehin im Regierungsübereinkommen paktiert ist: dass es ab 2021 eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung der Primärzutaten Milch, Fleisch und Eier in der öffentlichen und privaten Gemeinschaftsverpflegung und in verarbeiteten Lebensmitteln geben soll.
„Herkunft“ bedeutet hier nicht etwa, ob das Schnitzel von einem auf Vollspaltenboden gequälten Schwein stammt, oder von einem, das seine Nase in Stroh oder gar in Erde stecken durfte. Nein, gemeint ist das nationale Schema, innerhalb welcher Staatsgrenzen ein Tier gemästet und geschlachtet wurde.
Was bringt mir als Konsumenten eine solche Regelung? Nun, vielleicht will ich meinen ökologischen Fußabdruck und meinen Beitrag zur Klimakrise ein wenig verringern. In diesem Fall bräuchte ich allerdings eine Angabe der Region (Vorarlberg ist von Wien so weit entfernt wie die Westukraine) bzw. eigentlich der Transportkilometer. Ein Kernpunkt ist dabei auch die Herkunft der eingesetzten Futtermittel, denn mit der Regionalität eines „heimischen“, mit Soja aus Brasilien erzeugten Schweinsbratens ist es nicht weit her.
Oder ich möchte, dass die Tiere, die wir landwirtschaftlich nutzen, ein etwas besseres Leben haben. Das funktioniert mit einer Herkunftskennzeichnung aber nur, wenn die Tierschutzstandards in einem Land über dem Durchschnitt liegen. In Österreich ist das etwa bei den Legehennen der Fall, wo die Käfighaltung anders als in den meisten anderen Ländern innerhalb und außerhalb der EU verboten ist. Bei Schweinefleisch könnte man „Herkunft: Österreich“ hingegen auch als Warnung verstehen (Stichwort Vollspaltenboden).
Angeblich will die Politik mit einer Herkunftskennzeichnung die Absatzmöglichkeiten für die österreichischen Tierhalter verbessern. Ist dieser Weg dafür aber der richtige? Schauen wir uns die wichtigsten Absatzwege an:
- Im Einzelhandel (Supermärkte etc.) stellt sich die Frage: Warum sollten sich die Konsument*innen für die „österreichische“ Bratwurst entscheiden, wenn diese für Gentech-Soja aus Übersee und Tierleid steht? Dies funktioniert nur durch Des- und Halbinformation, aber eine darauf aufgebaute Strategie kann auf Dauer keinen Bestand haben. Hinzu kommt, dass eine Herkunftskennzeichnung nur den Produzenten im eigenen Land auferlegt werden kann. Bei außerhalb Österreichs hergestellten Produkten gibt es keine Offenlegung der Herkunft. Damit wird aber das Prinzip der Regionalität ad absurdum geführt. Ein Konsument in Graz kann dann nicht unterscheiden, ob die tierische Hauptzutat in einem Produkt aus der Untersteiermark/Štajerska oder aus Dänemark stammt.
- Bei der Gastronomie wird spannend, ob sie in den Begriff der „privaten Gemeinschaftsverpflegung“ einbezogen wird oder nicht. Die Wirtschaftskammer wehrt sich vorsichtshalber schon einmal mit Händen und Füßen. Wichtig wäre es allemal, denn über diesen Weg wird ein erheblicher Teil der tierischen Produkte abgesetzt.
Übrigens: Wenn die Menschen selbst kochen und die volle Auswahl haben, essen sie weit weniger Fleisch, wie sich in der Corona-Krise gezeigt hat. (Anm.: Diesen Beitrag schreiben wir am Tag nach dem Besuch eines Lokals in Wien, das Thunfisch und Lachs bei den kümmerlichen vegetarischen Gerichten auflistet und auch auf Bitte nicht imstande war, einen veganen Salat anzubieten.) - Bleibt der Bereich der öffentlichen Beschaffung. Es wird ja viel zu wenig beachtet, dass dieselbe Politik, die sich als Verteidigerin der Bauernschaft geriert, seit Jahr und Tag im eigenen Entscheidungsbereich zur billigsten Importware greift, von der Ministeriumskantine bis zum Bundesheer. Eine Herkunftskennzeichnung kann dieses Problem in keiner Weise lösen, denn eine nationale Diskriminierung ist bei EU-weiten Ausschreibungen unzulässig. Eine Differenzierung nach Qualitätskriterien ist hingegen möglich. So könnte die öffentliche Hand etwa bei Beschaffungsvorgängen ausschreiben, dass Eier und Eiprodukte nicht aus Käfighaltung stammen dürfen. Dies würde die österreichischen Landwirte tatsächlich in eine bessere Position bringen.
Was es also braucht, ist weniger eine Herkunftskennzeichnung, sondern vor allem eine verpflichtende Tierwohlkennzeichnung. Diese ist das geeignete Mittel gegen Billigimporte in der öffentlichen Beschaffung, erlaubt den Konsument*innen im Supermarkt und im Gasthaus eine informierte Wahl und unterstützt die Landwirt*innen auf dem Weg zu mehr Tierwohl. Der Weg einer klaren und transparenten Haltungskennzeichnung ist ein dokumentiertes Erfolgsrezept. Es ist Zeit, das in jeder Hinsicht höchst erfolgreiche Modell der Schalenei-Kennzeichnung auf alle tierischen Produkte auszuweiten.
Nicolas Entrup & Clemens Purtscher