Im Jahr 2017 schlachtete der Konzern MHP 312 Millionen Hühner – mehr als 850.000 an jedem einzelnen Tag des Jahres. Nicht miteingerechnet sind hier die hunderttausenden Hühner pro Jahr, die noch vor ihrem Schlachttermin jämmerlich verenden. In den letzten Wochen und Monaten sorgte MHP für Aufregung, da der Konzern mit tatkräftiger Mithilfe der niederländischen Behörden ein Schlupfloch gefunden hatte, die teure Hühnerbrust an geltenden Importquoten vorbei aus der Ukraine in die EU einzuführen. Der KURIER berichtet heute in seiner Titelgeschichte.

MHP verdankt seine rasante Expansion und seine extreme Dominanz im ukrainischen Geflügelmarkt (Marktanteil 64%) nicht zuletzt der Unterstützung durch öffentliche Mittel. Internationale Entwicklungsbanken (v.a. IFC und EBRD) stellten mehr als eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung, unter anderem um die größte Geflügelmastanlage Europas (Kapazität im Endausbau: 220 Mio. Hühner/Jahr) in der ukrainischen Region Vinnytsia zu finanzieren. Anders als es der Kurier-Titel vermuten lässt, trägt die EU dabei nur einen kleinen Teil der Verantwortung. So hält sie in der EBRD nur etwa 7% der Anteile, während die einzelnen EU-Mitgliedstaaten mehr als die Hälfte der Anteile und damit der Stimmrechte besitzen. Werden sie diese weiterhin zugunsten von MHP einsetzen? Am 22. Mai entscheiden sie über eine weitere Kapitalvergabe der EBRD in Höhe von 100 Mio. Euro anlässlich der Übernahme des slowenischen Unternehmens Perutnina durch MHP.

Was hat die Ukraine davon, wenn ein Unternehmen mit Firmensitz in der Steueroase Zypern mit Krediten internationaler Geldgeber riesige Mastanlagen errichtet, die zum Großteil aus den Niederlanden importiert werden und in der Ukraine von niederländischen Ingenieuren aufgebaut werden, was wiederum der niederländische Staat mit öffentlichen Mitteln in Form von Exportkreditgarantien versichert? Wenn der Eigentümer sich fette Dividenden auszahlt, um sich eine Protzvilla und eine Yacht im Mittelmeer zu finanzieren? Nun, auf jeden Fall eine Menge Dreck und eine enorme Belastung der örtlichen Bevölkerung von Lärm über Gestank bis zu Trinkwasserverschmutzung. Wenn internationale Entwicklungsbanken die Ukraine unterstützen wollen, was prinzipiell sehr zu begrüßen ist, sollten sie nicht länger monopolistisch-oligarchische Strukturen verstärken, sondern im Gegenteil zukunftsorientiert wirtschaftende Betriebe unterstützen, also solche, die ökologisch und sozial nachhaltig wirtschaften, Tiere respektieren und mehr Arbeitsplätze pro Umsatz schaffen. Ein grundlegendes Umdenken bei den Entwicklungsbanken und ihren Anteilseignern ist längst überfällig.

Was kann man als Konsument tun? Zunächst einmal in nicht-biologischen Restaurants, Kantinen etc. zu vegetarischen Gerichten greifen. Denn hier gibt es anders als im Lebensmittel-Einzelhandel keine Kennzeichnungspflicht, so dass man nicht erfährt, woher das Huhn stammt, geschweige denn wie es gehalten und geschlachtet wurde. Die durchgehende Kennzeichnung von Produkten von Tieren nicht nur nach der Herkunft, sondern auch nach Tierwohlkriterien ist daher auch eine der zentralen Forderungen des österreichischen Tierschutzvolksbegehrens.

Wer weiterhin Huhn essen will, greift am besten zu Produkten aus biologischer Tierhaltung sowie nicht nur zu den Bruststücken. Denn es ist keineswegs so, dass die EU auf Importe aus Drittstaaten angewiesen wäre. Im Gegenteil, die EU-Staaten exportierten im Vorjahr 1,8 Mio. Tonnen Hühnerfleisch in Drittstaaten. Auch die Ukraine importiert mehr Hühnerfleisch aus der EU als es in diese exportiert. Aber die Luxusbürger der EU verlangen nach Hühnerbrust (was auch der Grund ist, warum die Hühner so auf Brustwachstum gezüchtet werden, dass sie gegen Ende ihres Lebens schon vornüberfallen), daher wird Hühnerbrust importiert und andere Teile exportiert.

Die fehlgeleitete Investitionspolitik internationaler Finanzinstitutionen ist somit nur ein besonders groteskes unter den vielen Symptomen eines auf Abwege geratenen Systems, das einer grundlegenden Umwälzung bedarf.

Shifting-Values-Briefing zum Handelsaspekt

Foto © Naim Alel


Nachtrag: Der Geflügelhalterverband der Ukraine ließ sich einspannen, in einem (durchaus amüsanten) Schreiben angebliche Fehler im Briefing von Shifting Values anzuprangern (bzw. solche zu erfinden). Lesen Sie hier den Brief der Poultry Union of Ukraine und die Entgegnung von SHIFTING VALUES.